KI im Arbeitsschutz sicher und klug einsetzen
Gastbeitrag von Dr. Sylwia Birska
Dr. Sylwia Birska ist bekannt als Expertin für KI im Arbeitsschutz, Präventionsstrategin und Unternehmensberaterin und sie ist Ingenieurin für gebrauchstauglichen Arbeitsschutz. Zusammen mit ihrer Vergangenheit bei der DGUV und als Leiterin der Präventionsstrategie bei der BG ETEM vereint sie eine moderne Sicht auf Arbeitssicherheit und zukunftssichere Strategien.

Täglich sprießen neue KI-Lösungen wie Pilze aus dem Boden. Theoretisch lässt sich fast jedes Problem mit Künstlicher Intelligenz lösen. Doch nur weil wir es können, heißt das noch lange nicht, dass wir es sollten.
Dieser Beitrag zeigt, wie Unternehmen KI sicher und profitabel einsetzen, sodass sie tatsächlich Nutzen stiftet, statt nur den nächsten Hype zu bedienen.
Was ist KI eigentlich und warum jetzt alle darüber sprechen
Vor 2023 hätte man „KI“ fast mit „keinen interessiert’s“ übersetzen können. Denn im Kern steckt hinter Künstlicher Intelligenz vor allem Mathematik und Statistik und das klingt selten nach Revolution.
Tatsächlich gibt es bis heute keine einheitliche Definition von Intelligenz, weder menschlicher noch künstlicher Art.
Was wir aber sicher sagen können: KI ist ein Werkzeug.
Ein Werkzeug, das uns Arbeit abnimmt, Entscheidungen unterstützt und in nahezu allen Branchen Prozesse optimieren kann, wenn wir sie klug einsetzen.
Wo KI heute schon im Arbeitsschutz hilft
KI-Kreissäge: Arbeitsschutz in Echtzeit
Ein beliebtes Beispiel ist die KI-Kreissäge. Kameras erkennen, wenn eine Hand (mit oder ohne Handschuh) zu nah ans Sägeblatt kommt, und senken das Sägeblatt blitzschnell ab. So werden Verletzungen vermieden, bevor sie passieren.
Hunderoboter: Mutiger Helfer auf vier Beinen
Ein KI-gesteuerter Roboterhund kann sich sicher durch unwegsames Gelände bewegen, extreme Temperaturen, Gase und Strahlung aushalten und sogar eigenständig reagieren.
Er wird eingesetzt, wo Menschen großen Gefahren ausgesetzt wären, wie beim Erkunden instabiler Gebäude oder beim Aufspüren und Entsorgen gefährlicher Stoffe.
Gefährdungsbeurteilung (GBU): KI als Assistenz, nicht als Ersatz
Ja, eine KI kann theoretisch eine Gefährdungsbeurteilung erstellen. Sollte sie aber nicht allein.
Denn das Ziel einer GBU ist, dass Führungskräfte die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten bewusst reflektieren.
Klug ist es, KI zur Unterstützung einzusetzen. GEDOKU beispielsweise ist eine Software der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) zur Gefährdungsbeurteilung. Diese unterstützt Führungskräfte mit KI-generieren Texten, um Gefährdungen und Maßnahmen besser zu beschreiben. Zudem gibt es eine KI-gestützte Suche, die auch art- und sinnverwandte Suchergebnisse anzeigt. Sie geben den Begriff „PC-Arbeitsplatz“ ein und erhalten auch Treffer zu „Bildschirmarbeitsplatz“ usw.
Manche Fälle sind besonders knifflig. Hier helfen Technische Regeln und Branchenhinweise bei der Beurteilung von Gefährdungen nicht wirklich weiter.
Tipp: Nutzen Sie KI wie ein externes Denkwerkzeug. Beschreiben Sie z. B. ChatGPT Ihren Fall so detailliert wie möglich und lassen Sie sich Hinweise geben, die für Ihre GBU relevant sind. Achten Sie dabei auf Datenschutz: Keine sensiblen internen Daten preisgeben! Je mehr Kontextinformationen Sie der KI zur Verfügung stellen und je präziser Sie beschreiben, was Sie benötigen, desto brauchbarer werden die Ergebnisse. Ganz wichtig: Sie entscheiden am Ende, ob die KI-Ergebnisse für Sie und Ihren speziellen Fall relevant sind. Und Sie tragen die Verantwortung für die Nutzung der Ergebnisse.
Behalten Sie immer im Hinterkopf, das auch die beste KI kein menschliches Denken und Handeln ersetzt und vor allem keine ausgebildeten Fachkräfte wie Sifas.
Sicherheitsdatenblätter (SDB) prüfen
Das Prüfen von SDB auf Plausibilität ist oft mühsam. Auch hier kann KI unterstützen. Sie ersetzt nicht Ihre Gefahrstofffachkunde, aber sie erleichtert die Informationsermittlung und spart Zeit.
Tipp: Laden Sie das SDB z. B. bei ChatGPT hoch und weisen Sie die KI an, eine Plausibilitätsprüfung durchzuführen. Prüfen Sie Antworten der KI immer gegen. Diese können Sie auch mit der Expertise Ihrer Sifa abgleichen.
Unterweisungen modern gestalten
Junge Menschen haben mittlerweile eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne als ältere Beschäftigte. Besonders im digitalen Zeitalter sind sie es gewohnt, schnell wechselnde Reize (Stichwort „TikTok“) zu verarbeiten. Dadurch fällt es ihnen oft schwer, einer einstündigen PowerPoint-Unterweisung zu folgen. (Quelle)
Tipp: Beschreiben Sie z. B. ChatGPT Ihre Zielgruppe und die Problematik. Die KI liefert kreative Ideen für kurze, interaktive und zielgruppengerechte Unterweisungen, die wirklich ankommen.
Wenn KI zum Selbstzweck wird
Manche Unternehmen investieren aus purer Begeisterung riesige Summen in KI und merken erst später, dass niemand das System nutzt.
Ein selbst erlebtes Beispiel aus der Praxis:
Ein Betrieb beschaffte für eine halbe Million Euro autonome Shuttles, um Beschäftigte auf dem Betriebsgelände zu transportieren. Ergebnis: Kaum jemand fuhr mit.
Warum? Weil es schlicht keinen Bedarf gab.
Das ist hypegetriebener und nicht menschenzentrierter KI-Einsatz: „Wir wollen etwas mit KI machen!“, statt „Wir wollen ein konkretes Problem lösen.“
Niemand hatte vorher geprüft, wer auf dem Betriebsgelände von A nach B transportiert werden möchte. Dann wäre schnell aufgefallen, dass keine Personengruppe diesen Bedarf hat.
Und als Kollateralschaden blieb ein psychisch belasteter Mitarbeiter, der eigentlich die Shuttles aus der Zentrale überwachen sollte. Letztendlich musste er aus Sicherheitsgründen täglich 8 Stunden lang im Shuttle im Kreis mitfahren. Irgendwann hat er gesagt, dass er kündigt .
Wie Sie KI wirklich klug einsetzen
Der Ausgangspunkt für sinnvollen KI-Einsatz ist immer dieselbe Frage:
Wer hat welches Problem und wie wird es heute gelöst?
1. Problem verstehen: Analysieren Sie die tatsächliche Arbeitsrealität und die Herausforderungen Ihrer Beschäftigten.
2. Lösungsoptionen prüfen: Gibt es vielleicht einfachere Wege ohne KI?
3. Prototypen testen: Simulieren Sie die KI-Idee, bevor Sie investieren.
4. Ergebnisse bewerten: Passt die Lösung wirklich in den Arbeitsalltag? Wird sie akzeptiert?
5. Skalieren: Erst wenn der Nutzen klar ist, lohnt sich die Investition in eine ausgereifte KI-Lösung.
Ein simples Beispiel:
Bevor Sie eine Software zur SDB-Prüfung kaufen, prüfen Sie, wer diese Aufgabe aktuell macht, wie oft sie anfällt und wo genau die Schwierigkeiten liegen. Dann entscheiden Sie, ob Sie das Abo einer SDB-Software wirklich brauchen.
Das komplexe Shuttle-Beispiel:
Bevor Sie autonome Fahrzeuge bestellen, analysieren Sie zunächst, wer sich von A nach B bewegen muss, wie oft und mit welchem Zweck.
Selbst an diesem Punkt wird noch kein Shuttle gekauft. Stattdessen wird der Einsatz simuliert: Ein VW-Bulli fährt im Schritttempo über das Gelände und imitiert ein autonomes Shuttle.
Diese einfache Simulation zeigt schnell, was funktioniert, wo es hakt und ob die Shuttle-Idee tragfähig ist. Und stoppen kann man das Ganze notfalls auch problemlos. Und zwar ohne Investition im Bereich von mehreren Hunderttausend Euro.
Diese Vorgehensweise des Prototyping ist ein zentraler Bestandteil der menschenzentrierten Gestaltung, wie sie auch in der ISO 9241-210 „Ergonomie der Mensch-System-Interaktion - Teil 210: Menschzentrierte Gestaltung interaktiver Systeme“ beschrieben ist.
Fazit: KI ist kein Zauberstab, sondern ein Werkzeug mit Verantwortung
KI ist kein neues Phänomen. Die Grundlagen gibt es seit den 1950er-Jahren. Neu ist nur, dass sie jetzt massentauglich geworden ist. Und wie wir KI so einsetzen, dass sie zum Gebrauch taugt, damit beschäftigt sich die Forschung schon seit den 80er-Jahren.
Der Schlüssel zu einem sicheren und profitablem KI-Einsatz liegt nicht in der Technologie, sondern im Verständnis für die Menschen und ihre Aufgaben.
Fragen Sie nicht: „Was kann KI?“, sondern:
„Welches Problem wollen wir lösen und hilft uns KI dabei wirklich?“
Wenn Sie diesen Perspektivwechsel vollziehen, setzen Sie KI nicht hypegetrieben, sondern nutzenorientiert und verantwortungsvoll ein. Damit machen Sie sozusagen ein Stück Ihrer „Gefährdungsbeurteilung für KI“ vorab. Sie schauen sich die Arbeitsrealität Ihrer Beschäftigten an und gehen mit Ihnen in den Austausch, erkennen Bedürfnisse und übersetzen diese in Anforderungen an die KI. So entsteht eine Win-Win-Situation: Die KI ist auf die Bedürfnisse und Arbeitsrealität der Beschäftigten angepasst und diese können störungsfrei und effizient ihre Arbeit erledigen. Im Idealfall brauchen Sie keine teuren und zeitaufwendigen Nachbesserungen.
Wer dagegen hypegeleitet und technikgetrieben KI „einfach mal schnell einführt“, riskiert das Gegenteil: Frust, Ablehnung und ungenutzte Potenziale.
Checkliste: So setzen Sie KI klug ein
• Problem verstehen
• Zielgruppe und Bedarf analysieren
• Prozesse und Alternativen prüfen
• Prototyp testen
• Nutzen bewerten
• Entscheidung treffen
• Mensch im Mittelpunkt halten
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